Die deutsche Bauindustrie rechnet mit einem Abbau von 10.000 Stellen. Was verrät uns das über den Fachkräftemangel?
Die Zahl hat der Bauindustrieverband HDB als Schätzung für 2024 bekanntgegeben. Die schwache Konjunktur sei der Grund, so Hauptgeschäftsführer Tim-Oliver Müller, was ja erst einmal gar nicht überraschen kann: Der Bau tut sich schon seit Monaten schwer. Höhere Leitzinsen und Inflation bei allerlei Alltagsausgaben vermiesen Kunden das Interesse an neuen Wohnungen.
- 55% von 450 befragten Baufirmen befürchten eine Verschlechterung ihrer Lage im Jahr 2024
- 60% wollen die Belegschaft stabil halten, 12% möchten ausbauen
- 29% möchten Jobs abbauen
- Es wäre der erste Stellenabbau sei der Finanzkrise 2008/9.
Ein paar Wochen davor hatte übrigens bereits der mittelständische Branchenverband ZDB vor noch mehr Abbau gewarnt: 30.000 Stellen.
Am Fachkräftemangel ändert das... überhaupt nichts. Mal davon abgesehen, dass die kommunizierten Zahlen auch ein Stückchen als politische Botschaft gemeint sein dürften, handelt es sich bei ihnen nur um 1% (HDB) oder 3% (ZDB) der knapp 970.000 Beschäftigten in der Branche.
Zweitens ist die aktuelle Lage nun mal ein, tja, konjunktureller Schock. Stichwort business cycles: Mal geht es rauf, dann runter, dann wieder rauf. Natürlich spielen strukturelle Faktoren auch eine Rolle, aber die Lage in der Baubranche ist zum größten Teil garantiert zyklisch. Immerhin geht es um Leitzinsen und schleppende Nachfrage in einem Land, in welchem die Metropolen im Wohnungsmangel ertrinken.
Daraus folgt drittens: Paar Firmen bauen ab, aber das sind entweder die, die nicht die besten Entscheidungen treffen oder denen es ohnehin bereits kritisch geht - so viel riskante Ferndiagnose erlaube ich mir mal. Beispiel Luftbranche: In der Covid-Krise wurden massiv Stellen abgebaut, als dann aber schon 2022 der Flugverkehr deutlich anzog, waren Airlines und Flughäfen komplett überfordert. Es war eine Überreaktion auf einen (in dem Fall tatsächlich schwierig einzuschätzenden) Schock. Vielleicht reagieren auch hier einige Firmen auf eine Verschlechterung ihrer Lage über. In jedem Fall werden jene Baufirmen, die an ihren raren Handwerkern festhalten, deutlich besser positioniert sein, sobald die Konjunktur wieder anzieht.
Der Fachkräftemangel bleibt also ungebrochen. Er ist ein strukturelles Problem. Viele der Firmen, mit denen ich arbeite, haben früher genau diesen Fehler gemacht: Als Überreaktion auf ein konjunkturelles Problem verschlimmern sie ein strukturelles Problem für sich. Sobald die Wirtschaftslage wieder besser wird, fallen sie hinter Konkurrenten zurück, welche schlauer verfahren sind.
Das heißt natürlich nicht, dass man nie Stellen abbauen sollte. Manchmal ist das, was das Geschäft benötigt. Aber wenn man ohne Berücksichtigung des Fachkräftemangels drauflos abbaut und feuert, brauch man sich nicht wundern, wenn man am Ende zurückfällt.